Waßmann-Kanning, Luise

Luise Waßmann-Kanningwamannfoto

Autor(in) Ulla Kanning
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wamann001Wer mit 85 Jahren nach einem erfüllten und anstrengenden Leben seine Hände in den Schoß legen möchte – bitte sehr! Es ist sicherlich sein gutes Recht. Wer aber aufgrund einer vorhandenen Begabung die Fähigkeit hat, hinter menschliche Fassaden zu schauen, das eigentliche Wesen des Gegenübers oder gegenständlichere Motive zu erfassen und es mit Schere und Papier künstlerisch „auf den Punkt“ zu bringen, der sollte das zur Freude seiner Mitmenschen unbedingt auch weiterhin tun. So wie Luise Waßmann-Kanning, die 85jährige Künstlerin aus dem niedersächsischen Kirchlinteln bei Bremen. Ihr Leben führt sie noch immer im Unruhestand, gelegentlich auf Reisen, oft auf der Suche nach Motiven, immer offen für Eindrücke und Ideen, die sie in Scherenschnitte umsetzen kann.

Mangel an allem
Luise Waßmann-Kanning kam auf sehr unkonventionelle Weise zur Kunst des Scherenschnittes. Im Schoße einer großen Handwerker-Familie und eines dörflichen Vorortes von Bremen aufgewachsen, arbeitete sie mit zwanzig Jahren als Rote-Kreuz-Schwester in einem Bremer Krankenhaus. „Es war eine Zeit des Mangels an allem“, erinnert sie sich. Eine Zeit also, in der die Menschen mit geschultem Auge Ausschau hielten nach Materialien und Gegenständen, die sie im Alltag anderweitig einsetzen und verwerten konnten. Luise Waßmann-Kanning stolperte als OP- und Röntgenschwester schnell über die Röntgenfilmverpackungen, die in großen Mengen im Mülleimer landeten – aber lassen wir sie am besten selbst erzählen:
„Wenn ich nicht mit 20 Jahren Rote-Kreuz-Schwester geworden wäre, wer weiß, ob ich dann jemals zur Schere gegriffen hätte. Dazu kam, dass ich Operationsschwester wurde und neben dem Dienst auch Bereitschaftsdienst hatte. Dieses ‚Daseinmüssen‘ versuchte ich nun sinnvoll auszunützen. Außerdem wurde ich Röntgenschwester. Auch hier war der Dienst mit Bereitschaft auf dem Zimmer verbunden.

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Und hier liegt nun eigentlich die Ursache. Die Röntgenfilme waren alle in wunderschönem glattem schwarzem Papier verpackt. All dieses schöne Papier wanderte in Massen in den Papierkorb.
War es nun meine von Haus aus mitgebrachte Sparsamkeit oder war es die Freude am Gestalten? Ich kann es nicht sagen, auf jeden Fall begannen damals mit Hilfe der ‚Iris‘-Schere aus dem Augenoperationssaal meine ersten Versuche“1: Zwerglein und Engel zu Weihnachten, Hasen zu Ostern und das gleich in jeweils vierfacher Lage. Diese Kunstwerke fanden Beachtung und zogen Aufträge nach sich: Grußkarten und Lampenschirme für den privaten Gebrauch und Illustrationen für kirchliche und medizinische Fachzeitschriften. Immer flinker ging die Arbeit von der Hand, und die Motivvielfalt vergrößerte sich ständig.

Beurlaubung fürs Studium
Ein Krankenhaus-Arzt wurde auf ihre Fähigkeiten aufmerksam und riet ihr, ein Kunststudium zu beginnen, um das zweifellos in erheblichem Maße vorhandene künstlerische Talent zu untermauern. Unterstützt von ihrer Oberin entschied sich Luise Waßmann-Kanning dazu und wurde von 1946 bis 1948 vom Krankenhausdienst beurlaubt.
„Bei Professor Walter Ohlsen und August Welp lernte ich nicht nur das Zeichnen, ich erlernte das Wesentliche aller bildenden Künste: Das Sehen!“ resümiert sie heute. Sie übte sich darin, die von ihr gewählten Motive zu vereinfachen und das eigene Wesen in die Schere zu legen.

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 Richter Smidt, ein Bremer Original. 1984.  – Eine von vielen Geschichten: Richter Smidt geht zu Gericht und trifft auf Arbeiter, die ein Loch graben. „Wat makt ji hier?“, fragt er streng. „Wi makt ’n Kanaal“, lautet die Antwort. Als Smidt mittags wieder bei den Arbeitern vorbeikommt und sieht, dass das Loch zugeschaufelt ist, fragt er ungläubig: „Sünd ji all fertig?“ – Antwort der Arbeiter: „Nee, dor wör all een!“

 Dank einer feinen Beobachtungsgabe tummeln sich in ihrem Gesamtwerk zahlreiche urige Gestalten, echte menschliche Originale zumeist, in klarer Linienführung festgehalten. Langgezogene Körperpartien akzentuieren die Charaktere der Personen, und nie beschränkt sich Luise Waßmann-Kanning auf reine „Schwarz-Weiß-Malerei“. Es sind die leisen Zwischentöne des Menschseins, die sie sichtbar macht, wobei Einfühlungsvermögen und ein gerüttelt Maß an Humor ihre Schere lenken. Luise Waßmann-Kanning arbeitet ohne vorheriges Skizzieren, setzt Gesehenes und Gelesenes ohne viel Aufheben in Scherenschnitte um.

 

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Dem Scherenschnitt untreu
Vor der ersten Ausstellung im Presseclub im Bremer Schnoor wurde Luise Waßmann-Kanning für das Bremer „Amt für Jugendförderung“ und ab 1974 in der Jugendbetreuung der Kirchengemeinde Kirchlinteln tätig. „Mit den Kindern bin ich in die Natur hinausgegangen und habe das Gesehene direkt in Scherenschnitte umsetzen lassen“, erinnert sich die Künstlerin. Ein Streifzug durch alle künstlerischen Ausdrucksfähigkeiten folgte: Sie lernte Töpfern, Emaillieren, Spinnen und Weben, Filzen, Basteln mit allen möglichen Materialien und vieles andere mehr. Sie erwarb sich so neue Blickwinkel und Ausdrucksformen. Die Arbeit mit Kindern ließ sie dem Scherenschnitt vorübergehend untreu werden, nur hin und wieder griff sie zu Schere und Papier. „Ich war es müde, immer Wünsche erfüllen und nach dem Geschmack der Auftraggeber arbeiten zu müssen, sagt sie. Dazu habe es in dieser Zeit auch kein Papier gegeben, das ihren Anforderungen genügte. Nichts sei mit dem Röntgenpapier aus ihren künstlerischen Anfängen vergleichbar gewesen.

Alte Liebe neu entdeckt
Durch die Zeitschrift des „Deutschen Scherenschnittvereins“ wurde vor zwei Jahren eine alte Liebe neu geweckt und endlich ein Lieferant für vergleichbar gutes Scherenschnittpapier gefunden. Seitdem widmet sich die „Kirchlint’lerin“ wieder fast ausschließlich der Kunst des Scherenschnittes.

Luise Waßmann-Kanning ist immer mit der Zeit gegangen. Schnörkelreiche Scherenschnitte mit süßlichem Beigeschmack sind ihre Sache nicht, wohl aber pfiffige Darstellungen mit herzerfrischend schlichten Konturen und witzigen Details. In der Sammlung ihrer Werke, die sie in unzähligen Heften, Ordnern und Hüllen aufbewahrt (nur die größten Werke hängen ordentlich eingerahmt an der Flurwand), findet sich immer etwas zum Schmunzeln. Ob Blumenstrauß, christliches Motiv, Federtier oder Urlaubsimpression – jedes Bild regt zu längerer Betrachtung an.

 

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„Zauberer aller Länder, vereinigt Euch“. Scherenschnitt in Anlehnung an ein Gedicht des brasilianischen Radiopredigers Heider Camara. 1999
Auszug aus dem Gedicht: „… Warum, Zauberer aller Länder, vereinigt ihr euch nicht, um ein Wunder zu vollbringen, das die Kriege demoralisiert? Warum lasst ihr nicht Kanonen Rosen schießen und Bomben sich in Blumen auflösen?!“

In dieser Tradition entstanden auch die jüngsten Werke, die sie mit altem, neuem Elan gefertigt hat. Ihr Gesamtwerk ist noch lange nicht vollendet, denn Luise Waßmann-Kanning hegt zahllose Ideen, die auf ihre Umsetzung in Scherenschnitte warten, und es kommen tagtäglich neue hinzu. Zeit, die Hände in den Schoß zu legen, hat sie jedenfalls nicht.

 

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