Marie Luise Kämpffe

04-kaempffe 02 Geb. 13.01.1892 in Mückendorf
Gest. 30.07.1963 in Alsbach

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Maria Louise Kaempffe wurde am 13. Januar 1892 auf dem Gut Mückendorf bei Strehlen in Schlesien geboren. Sie wuchs mit 8 Geschwistern auf und war als jüngste Tochter der Liebling des Vaters. Sie hatte großartige Eltern, von deren christlicher Gesinnung und Lebensart sie stark geprägt wurde. Ihre Kindheit war sorglos und glücklich, und schon als Kind muss sie eine künstlerische Begabung beim Zeichnen und Malen gezeigt haben, „begründet in dem in ihrer Familie erblichen Zeichentalent“ – so Dr. Schellenberg.

Mit 14 Jahren kam sie zum ersten Mal zu einem einjährigen Schulbesuch in die Stadt, und mit 15 Jahren verlor sie bereits ihren Vater, gewiss ein sehr schmerzvoller Verlust. Ihr Wunsch war, Malerin zu werden, und nach Studien im Atelier von Else Bartsch in Breslau und auch bei Professor Siegfried Haertel ermöglichte ihr die Mutter dann den Besuch der Breslauer Kunstakademie, wo sie von Professor Karl Hanusch in der Ölmalerei, im Radieren und Lithographieren unterrichtet und durch Professor Hans Poelzig dazu angeregt wurde, insbesondere ihr Talent im Scherenschnitt weiter auszubilden. Im Jahr 1912 bestand sie an der Kunstakademie zu Breslau ihr Zeichenlehrerexamen mit Auszeichnung und konnte in den folgenden Jahren ganz ihren künstlerischen Neigungen leben. Sie ging auf Reisen, um neue Anregungen zu bekommen und besuchte 1916/17 die Fachklasse für Porträt von Professor Georg Burmeister an der Kasseler Akademie. Es folgten ihre ersten Ausstellungen in Breslau, aber auch in der Kunsthandlung Otto Fischer in Bielefeld und bei Professor Dr. Fuchs im Diözesanmuseum von Paderborn.

1920 erschienen zum ersten Mal Scherenschnitte von ihr im Druck. Es war das außergewöhnlich kunstvoll gestaltete Büchlein „Maria und das Jesuskind“.04-kaempffe 07 Im Nachsatz lesen wir: „Das Werk wurde von Herm. Birkholz/Berlin vom Stein gedruckt, 50 Exemplare hat Fritz Merker/Charlottenburg in echtes Japan mit Kalbspergamentrücken handgebunden. Sie sind nummeriert und von M. L. Kaempffe signiert.“ Als nächstes erschien ein „Lautenliederbuch“ von Heinz Thum mit Federzeichnungen von M. L. Kaempffe und danach im H. Haessel Verlag, Leipzig drei Scherenschnittfolgen, diese ganz ohne Text. Es waren dies „Die Heilandsgeschichte – 16 Scherenschnitte von Maria Luise Kaempffe“ mit dem Nachsatz: „Nach Originalscherenschnitten von Maria Luise Kaempffe ätzten Adolf Klauß & Co., Leipzig doppeltstarke Zinkplatten….100 nummerierte Handpressendrucke erschienen als Vorzugsausgabe“, sowie „Weihnacht – 6 Scherenschnitte von Maria Luise Kaempffe“ und „Tänze – ein Zyklus von 9 Scherenschnitten von Maria Luise Kaempffe“, beide mit dem Nachsatz „35 Exemplare wurden auf Bütten abgezogen, nummeriert und in Mappe ausgegeben“.

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Ebenfalls in dieser Zeit wurden auch die Postkartenserien „Weihnacht“ und „Madonnen“, je 4 Scherenschnittmotive, gedruckt und waren im Handel sehr schnell vergriffen!
Dieser künstlerische Erfolg wurde getrübt durch den Tod der geliebten, von M. L. Kaempffe hoch verehrten Mutter.

Und so kehrte sie 1924 ihrer Heimat den Rücken und „zog mit Aquarellkasten, Silhouettenschere und Zeichenstiften und einem großen Sack voll Mut nach China“, so ihre eigenen Worte. Für eine allein stehende Frau damals sicher ein ebenso faszinierendes, wie gewagtes Unternehmen. Auf jeden Fall besaß sie Einfallsreichtum genug, um ihre Reise, die für ein Jahr geplant war, auch dadurch zu finanzieren, dass sie auf dem Überseedampfer für jeden Tag neue Tischkarten zeichnete! Diese Studienreise führte sie auch nach Japan, Korea, die Philippinen und Ceylon, mit Ausstellungen 1925 in der Konfuziushalle in Tsingtau und in Tsinanfu, sowie 1926 in Hankou und 1927 in Peking.

In China schnitt sie die noch erhaltene Porträtsilhouette „Der Taoistenpriester auf dem Berg 04-kaempffe 09Taishan (Schantung)“. Ich war nicht wenig erstaunt, als ich auf der Rückseite des Originals, das ich mir im Museum für Volkskunde ansehen konnte, eigenhändige Notizen und Skizzen von M. L. Kaempffe entdeckte, die sich z.B. auf die Kopfbedeckung des Priesters, aber auch auf Traditionen und eigene Erlebnisse in China bezogen. Dass ihr Aufenthalt in Ostasien schließlich doch fast 3 Jahre dauern konnte, war vielleicht auch dem finanziellen Erfolg zu verdanken, den sie mit ihrem „Taugenichts“ und dem „Rübezahl“ erzielte, die beide 1925, während sie also in China weilte, beim Ferdinand Hirth Verlag in Breslau erschienen waren, und zwar in der volkstümlichen Reihe „Aus Märchen, Sage und Dichtung“, für die auch andere Scherenschnittkünstler wie Alfred Thon, Professor Julius Paul Junghans und Ada Steiner (Wien) schon gearbeitet hatten.

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Als M. L. Kaempffe im Sommer 1927 nach Schlesien zurückkehrte, brachte sie eine wertvolle Sammlung ostasiatischer Kunst, auch kostbare chinesische Stoffe und natürlich viele chinesische Scherenschnitte mit, aber auch 160 eigene Bilder und konnte sogleich mit einer „von der Kritik sehr freundlich aufgenommenen Ausstellung im Breslauer Kunstgewerbemuseum“ auf neue Erfolge hoffen.

Sie plante bereits zwei weitere Veröffentlichungen, eine 16 Schnitte umfassende Folge zum Thema „Passion“ für den H. Haessel Verlag und eine neue Buchillustration mit Scherenschnitten zu Adalbert v. Chamissos „Peter Schlemihl“ für den F. Hirth Verlag. Ein späterer Vermerk „Verträge gelöst 1933“ bestätigt jedoch, dass beide Arbeiten nicht erschienen sind. So stellen die 1927 von Dr. Schellenberg wohl unter dem Eindruck der Breslauer Ausstellung im „Oberschlesier“ beschriebenen Arbeiten ihr Hauptwerk dar und fanden durch ihn eine einfühlsame und bis heute gültige Würdigung. Er schrieb über die damals 35 jährige Maria Luise Kaempffe: „So klar und einfach der äußere Umriss ihres Lebens sich zeigt, so klar und eindeutig gibt sich auch das Bild ihrer Kunst. Wenn ein junger Mensch wie sie in der Nachkriegszeit, als der Expressionismus seine tollsten Purzelbäume schoss, unbekümmert um den chaotischen Tumult und die Grimasse der Zeit sein künstlerisch Bestes in den Themen des Marienlebens04-kaempffe 06 und der Heiligengeschichte zu geben suchte und zwar in einer solch ruhigen, äußerlich zuweilen fast altmodisch wirkenden, aber doch so persönlichen Form, der musste schon seiner selbst sicher und seines inneren Könnens und Wissens bewusst sein. Und man sehe sich nur einmal diese Scherenschnitte an, was sie von ihrer Schöpferin aussprechen. Alles ist so natürlich, so selbstverständlich und ungesucht, ohne Effekthascherei, zu der doch gerade der Scherenschnitt leicht verführen könnte, und welch religiöse Inbrunst sprechen aus diesen Szenen! Aber auch welche Freude!

….Und wenn wir dann schließlich auf ein Blatt wie „Jesus wandelt auf dem Meere“ mit diesen fast japanisch anmutenden Wellenkämmen stoßen….., dann begreifen wir auch, warum gerade China das Ziel der ersten großen Reise von Maria Luise Kaempffe war.“ In diesem Zusammenhang schreibt Dr. Schellenberg dann auch sehr zuversichtlich, sie „lebt zur Zeit in Grögersdorf, Kreis Nimptsch, Bez. Breslau, wo die starken Eindrücke ihres Aufenthalts im Orient künstlerisch sich in neuen Arbeiten ausreifen sollen… Nach den Wanderjahren haben die Meisterjahre begonnen.“

Dem war jedoch offenbar nicht so, denn M. L. Kaempffe trat – nach einer weiteren Reise im Sommer 1928 in die skandinavischen Länder – im Herbst 1928 als Kunsterzieherin und Zeichenlehrerin an einem Mädchengymnasium in Waldenburg in den Schuldienst ein, da sie durch die Inflation ihr Vermögen verloren hatte. In dieser Zeit wohnte sie in Bad Salzbrunn Fünflinden und kam neben dem anstrengenden und zeitraubenden Schuldienst nicht mehr zu dem intensiven künstlerischen Schaffen, durch das sie sich über ihr bisheriges Werk hinaus einen Namen hätte machen können.

04-kaempffe14So nutzte sie ihre freie Zeit hinfort vor allem dafür, ihre Scherenschnittarbeiten in weiteren Ausstellungen der Öffentlichkeit zu präsentieren. Neben Waldenburg, Liegnitz, Wahlstadt, Bielefeld, Breslau und Berlin fand März/April 1932 eine durch den erwähnten Briefwechsel besonders gut dokumentierte Ausstellung im „Stralsunder Heimatmuseum für Neuvorpommern und Rügen“, dem jetzigen „Kunsthistorischen Museum der Hansestadt Stralsund“ statt, damals unter Leitung von Dr. Adler. Von hier wurde die Ausstellung dann direkt nach Greifswald übernommen.

Diese Ausstellung umfasste mehr als 100 Originalscherenschnitte, darunter 17 als Fensterbilder und einige auch nur als Druck oder Photographie, da sie in Privat- oder Museumsbesitz für M. L. Kaempffe nicht mehr zugänglich waren, wie z. B. ein Scherenschnitt zu Rudolf G. Bindings „Keuschheitslegende“, deren Besitzer „Stadler, Paderborn“ gewesen ist. Ferner wurden ca. 30 Exemplare ihrer veröffentlichten Werke ausgestellt. Zum Verkauf wurden auch ca. 30 handsignierte Einzelblätter der „Heilandsgeschichte“ angeboten, ca. 3000 Postkarten, wohl hauptsächlich Madonnen- und Weihnachtsmotive, und ca. 300 Stück der Postkartenserie „Weihnacht“, mehr oder weniger alle für die Ausstellung neu gedruckt. Interessant ist, dass M. L. Kaempffe auch die wenigen bereits fertigen Schnitte zu „Passion“ und zum „Peter Schlemihl“ mit ausstellte.

Eine Porträtsilhouette ihrer Mutter und die Silhouetten der Familie ihrer Schwester Elisabeth, die mit Professor Fritz Klingmüller in Greifswald verheiratet war und zu deren Familie sie – auch als Patin – engen Kontakt hatte, waren ebenso ausgestellt wie der „Taoistenpriester“ und die „Märchenerzählerin“, eine amüsant eigenwillige Silhouette. Als es um die Einladungskarten ging, erfuhr M. L. Kaempffe von Dr. Adler, dass auch eine Ausstellung von Sulamith Wülfing im Museum in Stralsund stattfinden würde und die Einladungskarten für beide Ausstellungen zusammen verschickt werden sollten. Sie schrieb daraufhin: „Sehr freue ich mich auf die Arbeiten der Sulamith Wülfing, von der ich durch Dr. Schellenberg viel hörte.“ Und als sich die Frage stellte, ob es sinnvoll sei, auch Postkarten anzubieten, schrieb Dr. Adler am 21. Januar 1932: „Auch bei der Kollwitz – Ausstellung werden wir Postkarten mit in Verkauf nehmen und ich kann Ihnen dann ja noch rechtzeitig unsere Erfahrungen damit mitteilen.“ So sehen wir, dass M. L. Kaempffe sich mit ihrer Ausstellung in Stralsund in wahrlich guter Gesellschaft befand mit interessanten und sehr ernst zu nehmenden Künstlerinnen ihrer Zeit.

Die Ausstellung in Stralsund wurde ein großer Erfolg, und M. L. Kaempffe freute sich über Dr. Adlers „freundliche, aufmunternde Worte in der Presse“. In seinem Brief vom 20. April 1932 resümiert Dr. Adler: „Am Sonntag haben wir die Ausstellung endgültig geschlossen, nachdem sie im ganzen von über 840 Personen besucht worden ist. Ich bin sehr zufrieden mit diesem Erfolg und hoffe, dass auch Sie es sind, wenn es auch nur ein ideeller Erfolg ist“. Der weitere Lebensweg von M. L. Kaempffe blieb jedoch geprägt von ihrem pädagogischen Engagement, in das sie ihre künstlerischen Fähigkeiten einbrachte, indem sie mit Ernst und Eifer und dem ihr eigenen Temperament ihren Zöglingen im Zeichenunterricht nicht nur den vorgegebenen Lehrstoff vermittelte, sondern ihnen auch moderne Künstler, wie Marc und Gaugin, Monet und Kokoschka, den sie von Breslau her persönlich kannte, nahebrachte und auch durchsetzte, dass entsprechende Bilder in den Schulräumen aufgehängt wurden. Sie nahm teil mit den Arbeiten ihrer Schüler an Ausstellungen wie „Das Kind zeigt sein Herz“ oder „Blick in unseren Zeichensaal“.

Bei festlichen Anlässen stellte sie ihr Talent zur Verfügung. So hatte sie zu den „unvermeidlichen Goethefeiern nach der Büste von Rauch eine Monumentalsilhouette geschnitten, 60 x 80, die als Transparent in der Aula über der Bühne hing, von Lorbeergewinde umrahmt, dahinter elektrisches Licht, und es wirkte sehr gut“. Aber auch außerhalb des schulischen Bereichs suchte sie immer wieder Möglichkeiten, sich kreativ auszuprobieren.

So schlug sie vor, in der Sandberger Kirche, deren Apsis von Professor Hannes Maximilian Avenarius wunderschön neu ausgemalt worden war, die drei Felder der Kanzel ebenfalls auszuschmücken, und sie malte in jedes Feld eine herrliche Waldwildblume. 04-kaempffe 05Das war 1935, und August 1937 erschien von ihr ein sehr gelungener Artikel über ihre Eindrücke in China und speziell über die chinesischen Scherenschnitte in „Velhagen & Klasings Monatshefte“.

Im Mai 1946 musste auch sie Schlesien verlassen. Doch sie konnte vor allem ihre wichtigsten Schätze, die Scherenschnittarbeiten, im Rucksack in den Westen mitnehmen. Zuerst fand sie ein Unterkommen in Lüneburg und unterrichtete hier an der Berufsschule, bevor sie 1948 wieder als Kunsterzieherin am Mädchengymnasium in Altena/Westfalen tätig wurde. Von dort wurde sie 1952 von der Direktorin des Mädchengymnasiums in Castrop-Rauxel an deren Schule geholt. Sie erwarb die Lehrbefähigung für das Fach Religion und konnte hier als Studienrätin bis zu ihrem Ruhestand 1957 arbeiten. In der Aula des Gymnasiums hatte sie 1956 nochmals eine umfangreiche Ausstellung!

1959 zog M. L. Kaempffe nach Alsbach an der Bergstraße, des milden Klimas wegen, und unternahm von hier aus noch Reisen und Besuche bei Freunden und Verwandten, wo sie überall ihre – auch künstlerischen – Spuren hinterließ. So schrieb ihr Neffe Arnold Klingmüller noch 1984 in einem Brief an Heide Klingmüller: „Weihnachten ohne Scherenschnittkrippe ist kein richtiges Weihnachten. Ich bin doch in Schlesien mit den schönen Krippen meiner Patentante Maria Louise Kaempffe aufgewachsen“.

Maria Louise Kaempffe starb am 30. Juli 1963 nach einem sehr, sehr langen, sehr schweren Krankenlager. In einem Brief vom 27. Oktober 1962 offenbarte sie: „Ich versprach früher meinem bedeutenden Lehrer Prof. Hans Poelzig, ehe ich sterbe, meine „Passion“ als Folge der „Heilandsgeschichte“ zu vollenden“. Diese Vollendung fand nicht mehr mit der Schere, sondern durch ihr eigenes Leiden statt. Und so möchte ich abschließend ihre Nichte Marie Elisabeth Kaempffe zu Wort kommen lassen, die ihre Beziehung zu Maria Louise Kaempffe in folgenden Worten zusammenfasste: „Sie war Vorbild für mich, ein sehr großes Vorbild – aber, sie war auch meine Anfechtung! Obwohl ich im Grunde ein ebenso unabhängiges und großzügiges Leben führen kann wie sie, wollte ich doch von ihr lernen, dass eine zu große persönliche Dominanz problematisch ist“.

 

Bemerkungen:

1. Scherenschnitte ohne Größenangabe sind in Originalgröße wiedergegeben.
2. MVK = Museum für Volkskunde Berlin
3. Titelseite: „Madonna“ in „Der Oberschlesier“, MVK 118/64
4. Seite 9: „Ruhe auf der Flucht“, MVK 33/P/34, Original 1932 im Kunsgewerbemusum Breslau

Vereinszeitung SAW 04
Autor(in) Mechthild Ernst

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