Hölscher Rosa

Hölscher Rose hlscher01-foto

* 25.02.1897 in Altkirch
† 

Autor(in)Prof. Dr. med. Hans Helmut Jansen
und Dr. Rosemarie Jansen
aus: Vereinszeitung SAW 08

 

 

 

Frankfurter Charakterköpfe aus der medizinischen Fakultät:

Rose Hölscher hatte in den Jahren 1919 und 1920 an der Universität Frankfurt Medizin studiert, am 4. Mai 1920 das ärztliche Staatsexamen abgelegt und im Jahre 1921 doktoriert. Vorher hatte die am 25.2.1897 als Tochter eines Oberlehrers zu Altkirch im Elsaß geborene Rose Hölscher nach Besuchen der Gymnasien in Straßburg und Frankfurt und dem Abitur im Jahre 1916 in Bonn und Tübingen studiert. Pfingsten des Jahres 1921 edierte die junge Ärztin das im Titel genannte kleine Scherenschnittbuch, das bei Englert und Schlosser in Frankfurt am Main gedruckt und verlegt wurde.

Im Vorwort schrieb Rose Hölscher: „Als ich vor einem Jahr anfing, im Kolleg diesen oder jenen mit der Schere zu schneiden, geschah es ohne jede besondere Absicht. Die Sammlung vergrößerte sich, nun übergebe ich sie meinen Kommilitonen und Lehrern als Erinnerung.“ Das Büchlein ist heute ein bibliophiles Rarissimum. Der vor einigen Jahren verstorbene Dieburger Internist Professor Dr. med. Joseph Gottlieb erhielt es nach‘ dem Tode einer ehemaligen Krankenschwester der Universitätsfrauenklinik Frankfurt und publizierte im Jahre 1977 acht Scherenschnitte der „Frankfurter Charakterköpfe“, sie mit persönlichen Erinnerungen an seine akademischen Lehrer verknüpfend (1), hatte doch Gottlieb im Jahre 1929 mit dem saw08-h-hlscher-06Medizinstudium an der Universität Frankfurt begonnen. Damals verfügte die medizinische Fakultät – wie Gottlieb schrieb – „über Professoren von Weltruf im goethischen Sinne, oft von beispielhafter sokratischer Einfachheit der Lebensweise, hinter der sich die Größe des Forschers kaum ahnen ließ“. Rose Hölscher hatte die Kunst des Scherenschnitts von ihrer Freundin Lotte Cracknell (1898-1951) gelernt, der wir auch den Porträtscherenschnitt aus dem Jahre 1927 verdanken.

 

Er stammt aus dem Silhouettenbuch der Jahre 1927/28 von unserer Tante Therese lauer (1888-1975) in Frankfurt, die mit Lotte Cracknell und Rose Hölscher befreundet war. Für unsere Tante hatte Lotte Cracknell das Silhouettenbuch angelegt. Es enthält u.a. Porträtsilhouetten aus der Frankfurter Gesellschaft und der Familie Lauer, darunter den Porträtscherenschnitt von Anna Lauer (1886-1965), unserer Mutter bzw. Schwiegermutter, die gemeinsam mit der befreundeten Rose Hölscher in Frankfurt Medizin studierte. Rose Hölscher verkehrte in dem Lauerschen Haus in Frankfurt; in der Neuwiesenstraße. Aus dieser Zeit stammt das entzückende Foto, auf dem Rose Hölscher vor dem Lauerschen Haus den Spitz Ali füttert . Er war der Hund der Mutter Amalie Lauer, geb. Sämann, deren oval gerahmte Porträtsilhouette von Rose Hölscher aus den zwanziger Jahren in unserem Besitze ist. Erhalten ist auch der Kondolenzbrief von Rose Hölscher an unsere Tante Therese Lauer nach dem Tode der Mutter im Jahre 1926. Sie unterzeichnete ihn mit Rose Hölscherin.

Damals lebte Rose Hölscher in Hamburg. Ende der 20er Jahre heiratete sie einen jüdischen Arzt und emigrierte mit ihm nach 1933 in die USA. Im folgenden seien einige Scherenschnitte der „Frankfurter Charakterköpfe aus der medizinischen Fakultät“ vorgestellt und mit einigen biographischen Daten versehen. Der Physiologe Albrecht Bethe (1872-1955) lehrte seit 1915 in Frankfurt a. M.hlscher05Er hat unsere Kenntnisse der Physiologie des Zentralnervensystems und der Reflexe bereichert. Gottlieb schildert ihn als einen Gelehrten „von großer Bescheidenheit mit dahinter sich verbergender wissenschaftlicher Potenz“. Er hegte gegenüber den Menschen zuweilen eine Skepsis, „die mitunter in seinen Augen aufblitzte, ohne daß er davon verletzend Gebrauch gemacht hätte“.

Gustav von Bergmann (1878-1955) war Internist (4) und ..Sohn des berühmten Berliner Chirurgen Ernst von Bergmann. Im Jahre 1920 wechselte Gustav von Bergmann das Marburger Ordinariat mit dem in Frankfurt wegen der größeren Klinik. von Bergmann ist Mitbegründer des funktionellen Denkens in der Heilkunde. In seinen Lebenserinnerungen „Rückschau“ (1953) beschreibt v. Bergmann, daß er wesentliche Impulse durch eine Vorlesung des Frankfurter. Anatomen, den Schweizer Hans Bluntschli (1877-1962), erhalten habe, die dieser unter dem Titel „Funktionelle Anatomie“ hielt. hlscher03Bluntschli war nicht allein ein vielseitiger Anatom. Er schrieb auch über biologische Grenzgebiete, pädagogische, ethische und soziale Fragen. Forschungsreisen führten ihn in das Amazonasgebiet und nach Madagaskar. Ein bedeutender, weit über sein Fach wirkender Gelehrter war der seit 1921 als Professor für physikalische Grundlagen der Medizin in Frankfurt wirkende Friedrich Dessauer (18811963). War Bluntschli ein Professor mit Anatomenbart, so hatte Dessauer – wie die Porträtsilhouette zeigt – einen „Künstlerkopf“ .

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Von Dessauer wurden die quantenbiologischen Grundlagen der Röntgenstrahlenwirkung entwickelt. Er hat Wesentliches über die Wechselbeziehungen von Naturwissenschaft und Technik zu Philosophie und Religion beigetragen. Von 1924 bis 1933 war er Abgeordneter des Zentrums im Reichstag. Nach 1933 wich er nach Istanbul und Freiburg (Schweiz) aus. Karl Herxheimer (1861-1942) war der Doktorvater von Rose Hölscher. Das Thema ihrer Doktorarbeit lautete „Klinik und Pathologie des Melanosarkoms“ (1921). Herxheimer  war der Begründer der hlscher02Dermatologie in Frankfurt. Er wurde im Jahre 1894, erst 33 Jahre alt, zum Direktor der Hautklinik berufen und leitete sie bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1930. Nach 1933 rieten viele Freunde dem jüdischen Gelehrten, Deutschland zu verlassen. Es wäre leicht für ihn gewesen, zumal er in der Schweiz am Thuner See ein Haus besaß. Herxheimer konnte nicht glauben, daß er als international bekannter Forscher Frankfurt und Deutschland verlassen sollte, und vertraute darauf, daß ihm, der so vielen Menschen als Arzt geholfen hatte, seine persönliche Freiheit erhalten blieb. Am 27. August 1942 wurde der damals 81 jährige nach Theresienstadt abtransportiert, wo er am 6. Dezember elend zugrunde ging. Die Herxheimer-Medaille ist heute die höchste Auszeichnung, welche die Deutsche Dermatologische Gesellschaft zu vergeben hat (2). Sie zeigt diesen Charakterkopf, wie er auf dem Scherenschnitt der Rose Hölscher zu sehen ist. Der Pädiater Heinrich von Mettenheim (1867-1944) gehörte zu den Professoren, weiche aus dem Dienst ausscheiden mußten, weil seine Gattin zu den damals Verfolgten gehörte. Gottlieb hat seinem akademischen Lehrer ein Denkmal gesetzt: Anläßlich des Besuches einer englischen Ärztegruppe erlebte er noch einmal den Pädiater Heinrich von Mettenheim, der in akzentfreiem Oxford-Englisch von seiner Assistentenzeit in London berichtete und an Esprit alles in den Schatten stellte, was von Amts wegen den Gästen geboten wurde. „Hier stand ein Edelmann von Tradition und Bildung, der die englischen Kollegen begeisterte.“ Das Büchlein von Rose Hölscher enthält noch manches Bild berühmter Lehrer der Frankfurter medizinischen Fakultät.

Als letztes fügen wir den Scherenschnitt des Kopfes von Viktor Schmieden (1874-1945) unserer Bildfolge an. Schmieden war Schüler von Ernst von Bergmann und August Bier und kam im Jahre 1919 nach Frankfurt. Hier entfaltete er eine überaus fruchtbare Tätigkeit als Chirurg, Wissenschaftler und akademischer Lehrer. Er war berühmt für seine souveräne Beherrschung der operativen Technik und hatte – wie unsere Mutter überliefert hat – „goldene Hände“. Schmieden war ein Arzt, der internationales Vertrauen genoß: am englischen Königshof, in der UdSSR etwa. Es dürfte kaum einen Chirurgen in Deutschland gegeben haben, der sich bei den Patienten eines solchen Vertrauens erfreute. Dank seines hohen Ansehens war er Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie. So glanzvoll und erfolgreich in jeder Hinsicht sein leben war, um so trauriger war sein Ende. Sein Tod am 11. Oktober 1945 war von Zeittragik überschattet. Der Raum gestattet es nicht, weitere Porträtscherenschnitte abzubilden. Erwähnen möchten wir noch den Pathologen Edgar Goldschmidt (1881-1957), der, aus begütertem Hause stammend, die deutsche und schweizerische Staatsangehörigkeit besaß. Seine medIzinhistorische Bibliothek war ungewöhnlich reichhaltig. Die „Entwicklung und Bibliographie der pathologisch-anatomischen Abbildung“ (1925) aus dem Besitze unserer Mutter ist ein Standardwerk. Unsere Mutter berichtete, wie der kultivierte Prosektor im Nebenzimmer des Sektionssaales seinen Mokka aus einer Tasse von Sevres-Porzellan trank. Der jüdische Gelehrte konnte rechtzeitig emigrieren.

Der Ordinarius der Pathologie Bernhard Fischer (1877-1941), dessen Konterfei auch das Büchlein der Rose Hölscher ziert, verhalf manchem jüdischen Mitarbeiter zur Emigration. Wie war das spätere Schicksal von Rose Hölscher in den USA? Nach dem Kriege hat unsere in Berlin als Ärztin tätige Mutter die briefliche Verbindung mit Rose Hölscher wieder aufgenommen. Ihr Gatte arbeitete damals als Psychiater, sie selbst als praktische Ärztin. Mitte der 50er Jahre erlosch mit der Erkrankung unserer Mutter der Briefwechsel. Nach einem von Herrn Prof. Dr. Gottlieb mitgeteilten Brief von Frau Dr. med. E. Franz, einer Studienkollegin von Rose Hölscher, ist diese vor einiger Zeit verstorben. Das Todesdatum ist nicht bekannt. Rose Hölscher war künstlerisch begabt und hat sich nicht allein im Scherenschnitt betätigt. Sie schuf auch Feder-zeichnungen, die als Postkarten in den Handel gekommen sind. Eine solche aus ihrer Tübinger Studentenzeit „Wurmlinger Kapelle“ (1919) befindet sich in unserer Sammlung.

Die Zeit überdauert haben ihre Scherenschnitte der „Frankfurter Charakterköpfe“. Ober den künstlerischen Reiz, der diesen Porträtsilhouetten eigen ist, stellen sie ein kulturhistorisches Dokument dar. Sie bringen in Erinnerung, wie groß damals die Bedeutung der erst 1914 gegründeten medizinischen Fakultät gewesen ist dank hervorragender Ärzte und Gelehrter, oft jüdischer Herkunft. Die Studenten wußten es mit Dankbarkeit zu würdigen, wie es Rose Hölscher in ihrem Büchlein zum Ausdruck bringt.

1) Hess. Ärztebl. 1977, S. 549-553
2) E. Landes, Hess. Ärztebl. 1991 S. 515-516


 

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