Julia Thorn

Was ist der Mensch? Was darf ich hoffen?

thle-signatur01Auf einem zartgelben Seidenpapier wimmelt es von geschnittenen stilisierten Menschen. Sie differenzieren sich durch Querlinien, die die ganze Figur bedecken. Auch die Körperhaltungen sind mannigfaltig: Arme werden erhoben, umarmen eine andere Figur, sie stehen, gehen und laufen. „Einsamkeit 2“ (Abb.) ist der Titel des Schnittbildes. Es wirkt wie ein Ausschnitt aus unserer anonymisierten Gesellschaft. Bis auf ein Pärchen sind die Figuren, die sich ornamental ausbreiten, für sich. Einige sind sogar nur noch als Schatten wahrnehmbar. Was würde die Einsamkeit durchbrechen? – Kommunikation.

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Menschliche Kommunikation ist denn auch eines der Themen der Künstlerin Irene Thöle, die unter dem Künstlernamen „Julia Thorn“ bekannt ist. Seit 1986 arbeitet sie in der Technik des Scherenschnitts. Sie selbst bezeichnet die von ihr angewandte Technik als „Papiergrafik“. Julia Thorns Werke zeichnen sich formal durch eine Kombination von malerischen und papiergrafischen Elementen aus.

Julia Thorn studierte von 1975 bis 1983 Biologie und evangelische Theologie und unterrichtete später. Aber die bildende Kunst war und ist Bestandteil ihres Lebens. Bereits während ihres Studiums nahm sie ein Gaststudium in Kunst auf und seit 1992 folgten Kurse in Bildhauerei. Auf zahlreiche Ausstellungen im In- und Ausland kann Julia Thorn zurückblicken.

 

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In ihren wandfüllenden Arbeiten „… erzählt von der Weisheit“  und „… erzählt vom Reichtum“  führt Julia Thorn ihre künstlerische Leitfrage „Was ist der Mensch?“ weiter fort. Wie eine Tapisserie wirken die Schnittbilder von weitem und erzählen assoziativ über fundamentale menschliche Anliegen. Das Raster dient ihr als künstlerisches Prinzip. Es strukturiert und egalisiert. Thorn greift mit dem Rasterprinzip auf frühchristliche, byzantinische bis mittelalterliche Traditionen der Kunst zurück. Auf Hungertüchern, Darstellungen aus der Bibel und für Heiligenlegenden wurde das Raster angewendet. Auch in der modernen Kunst wird das Rasterprinzip angewandt, prominent von Piet Mondrian (1872-1944) in seinen „Grids“.

Symbole des Lebens und der gegenseitigen Beziehungen, Spiralen, Labyrinthe und Ornamente sind für die Künstlerin zwar „spielerische Kompositionsmittel“, die aber auch über eine „Verbindlichkeit verfügen, die auch Gegensätze und Konflikte miteinander verflechten können.“ Für Julia Thorn wird hiermit sichtbar, „dass Fremdheit und Distanziertheit, Zerstörungen und Verletzungen nicht finale Elemente sind, sondern durch Kommunikation überwunden werden können, ja überwunden werden müssen.“

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thle02-erzhlt vom reichtumIn dem Schnittbild „… erzählt vom Reichtum“  bilden weiße Kamele aneinandergereiht wie an einer Perlenschnur den äußeren und inneren Rahmen. Weiße Kamele sind Symbole des Reichtums. Von weit her versorgen sie die Menschen mit allerlei Gütern. Reichtum beutetet für die Künstlerin nicht nur Materielles, sondern auch Mobilität, Kindersegen, Augenlicht, Religion, der Gebrauch unversehrter Gliedmaßen, die auf dem Schnittbild zu finden sind.

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thle01-erzhlt von der weisheitRaben, Symbole der Weisheit und Klugheit, fungieren in dem Bild „… erzählt von der Weisheit“  als Rahmen für die vier Rechtecke, die hierdurch eine Kreuzform entstehen lassen. In den Rechtecken sind kleinteilig Eulen als weitere Symbole der Weisheit sowie der Baum des Lebens zu entdecken. Labyrinthisch muss man sich den Weg ins Zentrum bahnen, in dem weiße geometrische Figuren für reines Wissen stehen können.

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Lassen sich bisher thematisch und formal Bezüge zum Altmeister des deutschen Papierschnitts, Fritz Griebel (1899-1976), herstellen, so setzt sich Julia Thorn in dem Bild „Verbrannte Erde“ mit deutscher Geschichte auseinander. Auf einem an ein aufgeschlagenes Buch erinnertes Schnittbild sind Namen deutscher Intellektueller, meist Schriftsteller, mit Arabesken verschnörkelt. Der Außenrand des Buches bzw. des Bildes ist angesengt. Der Titel des Bildes bezieht sich auf eine völkerrechtswidrige Kriegstaktik, bei der eine Armee auf dem Vormarsch oder auf dem Rückzug vor dem Feind alles zerstört, was dem Gegner in irgendeiner Weise nützen könnte, wie Gleise, Straßen, Fabriken oder auch komplette Städte. Julia Thorn macht mit ihrem Schnittbild nicht auf die Zerstörung der Infrastruktur aufmerksam, sondern auf den Verlust von Kunst, Kultur und Wissenschaft durch Krieg. Fragte die Künstlerin zuvor was ist der Mensch, so ließe sich hier die Frage anschließen: Was darf ich hoffen?

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