Adele Schopenhauer

sil.schopenhauer

geb. 12.06.1797 in Hamburg
gest. 17.04.1849 in Bonn

Adele, mit vollem Namen Luise Adelaide Lavinia Schopenhauer, Tochter der Schriftstellerin Johanna, Schwester des Philosophen Arthur wurde am 12. Juni 1797 in Hamburg geboren. Nach dem Freitod des Vaters zog ihre Mutter 1806 mit der Neunjährigen nach Weimar, wo sie sich durch ihr couragiertes Auftreten Respekt und Anerkennung der Gesellschaft erwarb. Ihr Haus wurde zum Mittelpunkt des geistig-gesellschaftlichen Lebens. Der Höhepunkt dieser Gesellschaftsabende bei Johanna Schopenhauer am Theaterplatz war die Zeit Von 1806 bis 1813.

Adele war intelligent und aufgeschlossen, lernte mehrere Sprachen, gewann schon früh, nicht zuletzt durch den Umgang mit Goethe, ein gutes Urteil über Werke der Literatur und Kunst. Ihre Beziehungen zum Goetheschen Hause gestalteten sich nach der Verheiratung ihrer angebeteten Jugendfreundin Ottilie Pogwisch mit August von Goethe 1817 immer enger. Mit ihr verband Adele seit 1811 eine tiefe Jugendfreundschaft. Von der, nur ein Jahr älteren Freundin erhielt sie die Liebe, die ihr die Mutter nicht gab. Sie stand mit ihrem Groll gegen den Sohn zwischen Bruder und Schwester, wodurch das zeitlebens distanzierte Verhalten Arthurs ihr gegenüber, das sie sehr belastete, ausgelöst wurde. Adele Schopenhauer betätigte sich auch künstlerisch, schuf vor allem Scherenschnitte und getuschte Schattenbilder.

Solange das Vermögen der Mutter und deren gesellschaftliche Stellung Bestand hatten, galt sie als ein Mädchen, das sich Hoffnungen machen durfte, einen ihr ebenbürtigen Partner zu finden, auch wenn ihr Äußeres als wenig einnehmend geschildert wird, ja von einzelnen als geradezu hässlich. Die gesellschaftlichen Verhältnisse gestalteten sich allerdings nach dem Verlust eines großen Teils des Vermögens 1819 immer unerfreulicher, am schwersten litt Adele darunter, für sie bedeutete der Vermögensverlust den Ruin ihrer Zukunft.
Nach einem Schlaganfall der Mutter 1823 endete im Jahr 1826 die mehrjährige Beziehung zu dem jungen Jenaer Chemiker Gottfried Osann und Adele musste die stille Hoffnung, ihn zu heiraten aufgeben. Der Aufenthalt in Weimar wurde den beiden Frauen immer unerträglicher. Im Frühjahr 1827 verließen sie Weimar, über Frankfurt gelangten sie nach Köln. Im Mai 1829 zogen sie nach Unkel am Rhein, Wo sie die Sommermonate verbrachten, im Winter lebten sie in Bonn. Das Haus in Unkel gehörte Sibylle Mertens-Schaaffhausen, einer hochintelligenten und wohlhabenden Frau, sie wurde in der zweiten Hälfte von Adeles Leben ihre Freundin und Vertraute, So wie es Ottilie Pogwisch in der ersten Hälfte gewesen war.

Im Herbst 1837 kehrten Mutter und Tochter nach Thüringen zurück, Wo Johanna am 17. April 1838 in Jena starb. Um Adeles Lebenseinsamkeit überwinden zu helfen, bemühten sich Ottilie und Sibylle ihre vielseitigen Interessen und Begabungen auf die Schriftstellerei zu lenken. Was bisher nur ein schöner Zeitvertreib gewesen war, das sollte nun zur Notwendigkeit werden, nachdem sie sich materiell auf ein Existenzminimum festgelegt sah. Doch um die materielle Sicherstellung ging es nicht einmal So sehr, – die konnte ihr auch Sibylle geben -, sondern um eine Aufgabe, die ihrem, durch Krankheit gekenn-zeichneten, Leben einen Inhalt gab. Nach dem Tode der Mutter hatte sie 1839 deren nachgelassene Lebenserinnerungen in zwei Bänden veröffentlicht. Als erste eigene Buchveröffentlichung erschienen 1844 die „Haus- Wald- und Feldmärchen“. Von 1841 bis 1844 arbeitete sie an dem Roman „Anna“, der 1845 herauskam und stark autobiographische Züge hatte.

In den letzten Jahren ihres Lebens (1844-1848) wurde Italien ihr ständiger Wohnsitz, Genua, Neapel, Rom und Florenz, hier lebte sie und hier wollte sie auch sterben. Zeitweise war Sibylle Mertens bei ihr, zeitweise Ottilie von Goethe mit ihren beiden Söhnen. Unterbrochen wurde dieser Aufenthalt im Frühjahr 1847 für einige Monate, in denen sie für ihren 1848 erschienenen Roman „Eine dänische Geschichte“ einen Verleger suchte. Körperlich waren ihre letzten Jahre wegen einer unheilbaren Krankheit ein Martyrium. Im Frühjahr 1849 reiste sie zu Sibylle Mertens nach Bonn. Sie besuchte auch Berlin, Jena und Weimar, kehrte todkrank nach Bonn zurück, Wo sie am 25. August 1849 starb.

Ihre Scherenschnittkunst
Im Haus der Johanna Schopenhauer, wo künstlerische Interessen eifrig gepflegt wurden, wo Männer wie Fernow, Meyer, Falk, Bertuch, die Malerin Caroline Bardua, selbst der alte Wieland und vor allem Goethe ständig verkehrten, erregte Adele bald allgemeines Aufsehen durch ihre lebhafte, anziehende Art, durch ihren für alles Schöne empfänglichen Sinn und vor allem durch ihre Geschicklichkeit im Erfinden und Schneiden von Silhouetten. Sie hat in der Hauptsache den freien Schnitt gepflegt. Goethe schrieb zu manchen ihrer Scherenschnitte begleitende Verse, so im April 1818 in „Eine Sammlung künstlich ausgeschnittener Landschaften“
 
Zarte, schattende Gebilde, 08
Fliegt zu eurer Künstlerin.
Da& sie, freundlich, froh und milde
Immer sich nach ihrem Sinn
Eine Welt von Schatten bilde;
Denn das irdische Gefilde
Schattet oft nach eignem Sinn

Eine Schattengabe Adelens an den Maler und Zeichenlehrer Rösel versah er mit folgenden neckischen Zeilen:
Schwarz und ohne Licht und Schatten 
kommen, Roseln aufzuwarten, 07
Grazien und Amorinen; 
doch er wird sie schon bedienen.
Weiß der Künstler ja zum Garten

die verfluchtesten Ruinen
umzubilden, Wald und Matten
uns mit Linien vorzuhexen;
wird er auch Adelens Klecksen,
zart umrißnen, Licht und Schatten
solchen Holden Finsternissen
freundlich zu verleihen wissen.
 
 
Die frühe Bekanntheit Adele Schopenhauers erkennt man daran, dass bereits 1820 Silhouetten zu einem 02Rätsel-Alphabet in „Beckers Taschenbuch zum geselligen Vergnügen“ abgedruckt wurde. Die Originale sind nach unserer Kenntnis nicht mehr aufzufinden. Danach hat es lange gedauert, bis endlich einige ihrer zauberhaften Kunstwerke bekannt wurden. 1912 und 1920 konnten zwei Alben mit Phantasieschnitten wieder entdeckt werden. Bereits 1909 waren mit ihren „Tagebüchern“ eine Menge winziger Herrlichkeiten veröffentlicht worden. Von ihren anderen Illustrationen ist nur wenig wieder aufgetaucht, ob wohl Literaturstellen belegen, dass Adele allerlei derartiges schnitt. 

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Zum Beispiel Schnitte zum „Zauberlehrling“, „West-Östlichen Divan“, zum Epos „Olfried und Lisena“ von August Hagen. Als größter und schönster gilt der zu Goethes „Hochzeitslied“ (s. oben), der Ballade vom zurückkehrenden Grafen, in dessen verödetem Schloss sich ein Zwergenvolk eingenistet hat und da sein Wunderwesen treibt. Aus einer Tagebuchstelle Goethes vom 27.Juli 1820 geht hervor, dass er selbst „das Lokal zu Adelens Zwergenfest gezeichnet“. Von ihm waren lange Zeit nur literarische Belege vorhanden, erst in den 20er Jahren wurde es auf dem Boden des Reithauses in Weimar aufgefunden. Es nimmt eine Sonderstellung ein, allein durch seine Größe, denn A. Schopenhauer schnitt gewöhnlich nur kurze, vignettenhafte Sachen, eine Elfengruppe, eine Psyche, Amoretten.
                          04Die Bedeutung Adele Schopenhauers, der Zeitgenossin von Luise Duttenhofer (1776-1829), Bettina von Arnim (1785-1859) und Karl August Varnhagen van Ense (1785-1858), formuliert Dr. Hans Timotheus Krober in Weimar am 11.März 1913 folgendermaßen: „Diese Schattenbilder sind nicht nur der Ausdruck einer liebenswürdigen Persönlichkeit, das Werk einer jener anziehenden geistvollen Frauengestalten des klassischen Weimar, sie spiegeln vielmehr eine ganze literarisch-künstlerische Zeitströmung wieder. Formell genommen sind sie Produkte des Übergangs vom Klassizismus zum Biedermeierstil, inhaltlich stehen sie bereits völlig unter dem Einfluss der Romantik mit ihrer ausgesprochenen Vorliebe für den Geisterspuk und Hexenzauber einer Walpurgisnacht, für eine orientalisch-phantastische Märchenwelt. Als besten Beleg dafür erwähnen wir nur die Illustration zur „Indischen Mythe des Kandu“, die Adele durch den Romantiker Schlegel kennen lernte, aber leider nicht vollendete.

 
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Sie sind ein Meisterstück der Silhouettenkunst überhaupt und bedeuten eine neue Stufe, über die hinaus bis jetzt kein Fortschritt gemacht worden ist. Im Gegensatz zu jener Silhouettenkunst des 18. Jahrhunderts, die entsprechend den anthropozentrischen Neigungen der Zeit, besonders unter Lavaters Einfluss, sich fast durchweg der Portraitsilhouette zu wandte, findet hier eine Wandlung zugunsten stimmungsvoller Landschaftsbilder und genrehafter Darstellungen statt, eine Vorahnung Schwindscher Malerpoesie, und es dürfte sich wohl lohnen, wenn alle die auf diesem Gebiet doch verborgenen Schätze erst ans Licht gefördert worden sind, auch den Silhouetten der Adele Schopenhauer in Zusammenhang mit der Geschichte der Silhouette in Deutschland einmal eine umfassende Würdigung zu teil werden zu lassen.“
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Verwendete Literatur.
Arbeiter, Bruno. „Rätsel deutscher Dichter“, Potsdam 1939
Becker, Karl W.. „Haus- Wald- und Feldmärchen“, Hanau 1987
Houben, H.H.. „Tagebuch einer Einsamen“ (1921), München 1985
Houben, H.H.. „Gedichte und Scherenschnitte“ (2 Bände), München 1920
Kästner, Erhart: „Scherenschnitt-Illustration“, Dresden 1936
Kroeber, Hans. „Das Silhouettenbuch der Adele Schopenhauer“, Weimar 1913

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