Niesner, Wolfgang
* 08.12.1925 in Freudenthal
? 23.04.1994 in München
Autor(in) Friederike Niesner
aus Vereinszeitung SAW 25
Am Anfang war die Lust am Zeichnen. In der Schule wurden die Lehrer karikiert, die Lieblingsthemen waren Autos und Lokomotiven. In seiner Geburtsstadt hielt sich mein Mann gerne in dem kleinen Museum auf und betrachtete Bilder und Zeichnungen auch eines dort ansässigen Malers, dem er in freier Natur oft stundenlang beim Aquarellieren zuschaute. Besonders faszinierten ihn Abbildungen von Stichen und Radierungen von Dürer, Rembrandt und Goya, die früh Freude an Schwarz-Weiß-Graphik weckten. Der strenge Vater bestand auf einer Kaufmannslehre des jüngeren Sohnes in seiner Kohlenhandlung, erlaubte aber daneben die Teilnahme an einem Zeichenfernkurs aus Berlin mit Abschlußprüfung.
Das Scherenschneiden muß ebenfalls bald dagewesen sein. Eine Cousine erinnert sich: „Wir jungen Leute saßen öfters, so um 1938 bei uns am Bauernhof in Neudörfel um den Tisch herum und Wolfi fing an mit der Schere in Papier zu schnippeln und es entstanden zauberhafte Bilder. Wenn er da war, war es nie langweilig.“
Schließlich stimmte der Vater dem Besuch der Hochschule für Angewandte Kunst in Wien zu. Aber 1943, nach zwei Semestern, wurde Wolfgang Niesner zum Militär geholt. Dort wie auch in russischer und tschechischer Gefangenschaft mußte er zeichnen und malen, was Erleich-terungen verschaffte. Sein Skizzenbuch aus dieser Zeit konnte er glücklicherweise trotz Flucht retten. Die Vielzahl der Modelle und Menschenbegegnungen betrachtete er später als positive Erfahrung jener Zeit.
Wolfgang Niesner landete 1946 in Niederbayern und bekam Arbeit in einem Flüchtlingsbetrieb für kunsthandwerkliche Dinge. Es entstanden die ersten Radierungen und Holzschnitte. 1950 kam mein Mann nach München, wo er dann überwiegend freiberuflich tätig war. Er trat dem Verein für Originalradierung bei und war später fünf Jahre lang dessen 1. Vorsitzender. Um 1955 erschienen die ersten Scherenschnitte. Aufgrund der Neigung meines Mannes zu Satire und Karikatur kam es zu Veröffentlichungen in dem damals wieder kurz aufgelebten „Simplicissimus“. Es war der Beginn eines umfangreichen Scherenschnitt-Oeuvres.Obwohl mein Mann farbige Bilder und Kleinplastik schuf und die Schrift auch seine Domäne war, ist die Druckgraphik, neben der Vielzahl an Zeichnungen, wohl der wichtigste Teil seines künstlerischen Werks. Sie umfaßt Linol- und Holzschnitt, Ätzradierung, Aquatinta, Kaltnadelradierung, Vernis mou und später Kupferstich und Schabkunst. Für meinen Mann war die Form wichtig, nicht die Farbe und die Druckgraphik ausschließlich schwarz-weiß, evtl. handkoloriert.
Auf die Kritik eines Journalisten bezüglich des zu vielen Schwarz anläßlich einer Ausstellung, war seine Antwort, daß wahrscheinlich die Kohlenhandlung des Vaters (der gerne fotografierte), das spannende Entwickeln der Schwarz-Weiß-Fotos in der Dunkelkammer und die Arbeit im tschechischen Kohlebergwerk dies beeinflußt haben. Er nannte sich auch gerne „Schwarzkünstler“. Seit 2002 existiert ein Werkverzeichnis der gesamten Druckgraphik mit Abbildung sämtlicher 562 Titel.
Doch kehrte mein Mann gerne zum Scherenschnitt zurück und wurde „in teils kürzeren, teils längeren Zeitabständen an- und überfallsmäßig immer wieder heimgesucht…………“ wie er es ausdrückte.
An den befreundeten Maler Anton Bruder schrieb er am 17.12.1977: „Habe z.Zt. immer noch Durchfall mit meinen Scherenschnitten. Fast scheint es mir, als käme ich dem was mich am Leben und am Menschen reizt, auf andere Weise nicht bei.“ Den Scherenschnitt bezeichnete er als Nebenzweig seines künstlerischen Schaffens, nicht als Nebensache! In ihm zeigt sich sein feiner Humor, der ihn bei Freunden und Bekannten so beliebt machte. Neben liebenswürdigen und witzigen Darstellungen entstanden sehr kritische Kommentare zu Politik, Kunst, Umwelt. In Mappen gibt es u.a. Themen wie DD (das zweifache Deutschland), Zweiseitigkeiten, Viechereien, Zeitungsleser, Strittiges, Bayerisches, Herz, Auto. Zu letzterem ist der größte Schnitt 49 x 34 cm.
Es gibt eine Menge ganzfiguriger Silhouetten: Passanten, Alte von hinten gesehen, Spaziergänger, Typen in Hamburg, London, Paris, Raucher usw. Bei einem der Faschingsfeste in unserer Atelierwohnung war das Porträtieren der Gäste mit der Schere einmal der Höhepunkt. Eine Zeitlang wurden unsere Besucher und auch ich in Papier geschnitten. Dazu schrieb Wolfgang Niesner in seinem Aufsatz: „Zur Technik des Scherenschnittes“ in dem Buch von Biesalski: „Von Anfang an war es jedoch nicht der Silhouettenschnitt, von dem ich mich angezogen fühlte, sondern ein auf eine wechselvollere Schwarzweißwirkung abzielendes Arbeiten, dem zwar zeichnerische Elemente eigen sind, die aber durch die Umformung in den Schnitt eine Zuspitzung und Präzisierung erfahren. Untrennbar ist zudem, so scheint es mir, meine Art zu schneiden vom Inhalt der jeweiligen Darstellungen, die ja nichts weiter sein wollen als Glossen, Satiren und Randbemerkungen zu der Zeit, die ich zu durchschreiten habe …. Nicht selten vollziehen sich dabei Wendungen ins Groteske und Drastische erst im Verlauf des Umganges mit der Schere bzw. schon in den Gedanken an deren Gebrauch…“. Später bringt er den Vergleich zur Bildhauerei, weil dabei auch etwas weggenommen wird und nicht mehr hinzugefügt werden kann.
Seine Werkzeuge waren viele verschiedene Scheren, dabei vorzugsweise eine kleine, sehr spitze, abgewinkelte Hautschere und in Federhalter befestigte Messerchen. Sie wurden oft und gut geschliffen, was ja für seine Radierwerkzeuge notwendig war. Es wurden immer wieder Geräte konstruiert und erfunden.
Den Scherenschnitt verwendete er auch bei so manchen anderen Kreationen, z.B. bei Bildcollagen, bei Bucheinbänden oder Modellen für Zinnfiguren. Vor Jahren goß er die „Gepanzerte Friedenstaube mit Ölzweig“ in Zinn, und verschickte sie als Weihnachtsgruß. 1971 waren drei Materialbilder in der Großen Kunstausstellung im Haus der Kunst: „Korona“, „Protuberanzen“ und „Monstranz“ – eine Art Mandala, bei denen Scherenschnitt-Gebilde eingebaut sind.
Der Ausgerissene
Es wären da noch die Papiermodelle von Vögeln und Radfahrern zum anschaulicheren Zeichnen zu erwähnen, die phantasievollen Papierflieger (Beteiligung am Papier-fliegerwettbewerb), die Freude an Papierausschneidebogen oder gar seine Methode, die Darstellungen auf den radierten Platten auszusägen, um die scharfen Kanten auf dem Druck noch deutlicher herauszuheben. Es existiert eine Schachtel voller Entwürfe für künftige Scherenschnitte. Wolfgang Niesner war ein unermüdlicher „homo ludens“ mit der großen Liebe zur Kunst und zum Leben.
Bei Ausstellungen seiner Werke – in den letzten Jahren vorwiegend der kritischen Graphik – waren immer Scherenschnitte dabei. Dazu bemerkte er: „….in ihnen geht es mir wohl um eine Art Ausbalancierung ähnlich der Wirkung des Satyrspiels, das die von der griechischen Tragödie erschütterten Besucher wiederversöhnt in den Alltag entließ. Auch fühlte ich mich als ein nur auf eine einzige Sache fixierter „Stilkünstler“ nicht wohl, dessen ganzes Oeuvre man schon nach ein paar Arbeiten gesehen hat.“
Es freut mich, daß in der Kunstzeitschrift „GRAPHISCHE KUNST“ Heft 59, 2002, zusammen mit einem Artikel bezüglich des Werkkatalogs neben Graphik auch ein Scherenschnitt abgebildet wurde.
Mein Mann besaß Bücher u.a. von Griebel, Rubi, Schwendy, Runge, Matisse, Engert und über den chinesischen Scherenschnitt. Aber er forschte auch immer nach guter Kunst, die nicht in aller Munde ist. So entdeckte er für sich die Scherenschnitte des Bildhauers Philipp Hart und von Ursula Kirchner, deren Arbeiten er sehr schätzte. Das Ehepaar Kirchner hatten wir 1983 anläßlich einer Scherenschnitt-Ausstellung im Münchner Stadtmuseum kennengelernt, bei der auch Frau Kirchner vertreten war. Vom April 1991 gibt es eine interessante Korrespondenz mit dem Ehepaar Willersinn.
Wolfgang Niesner, auch an einem 18.12. geboren wie Paul Klee, mit einer Begabung zum Schreiben und den Hang, seinen Bildern witzige oder verschlüsselte Titel zu geben wie dieser, vermerkte einmal: „Bildnerische Arbeit ist mir ein Hilfsmittel, Wirklichkeit präziser zu erfassen, mein Wahrnehmungsvermögen ständig zu schärfen und Antworten auf Zeiterscheinungen und Zustände zu geben. Vorzugsweise bediene ich mich des gezeichneten, radierten, gestochenen, geschabten, gemalten oder auch in Papier geschnittenen Bildes, dessen Möglichkeiten als Registrier-, Kontroll- und Projektionsinstrument mir ausreichend brauchbar und keineswegs überholt oder durch ein anderes Mittel ersetzbar erscheinen. Unter Bild verstehe ich so etwas wie Bezeichnung, Namensgebung, Taufakt, wobei es qualitativ ein Unterschied ist, ob man ein Bild machen kann oder ob man es auch machen muß.“
Bibliographie:
„Scherenschnitt und Schattenriß“, Biesalski, Callwey
München 1978
„Scherenschnitte / Silhouettes“, Hopf, novum press,
Bruckmann München 1989
„Butzbacher Autoren- und Künstler-Interviews“ 4/4, H.J. Müller, Darmstadt 1992
Ausstellungskatalog „Wolfgang Niesner“ (Verein für Original-Radierung, München) F. Niesner 1995
„Wolfgang Niesner – Das druckgraphische Werk“,
Matthias Arnold, Edition Curt Visel, Memmingen 2002
GRAPHISCHE KUNST, Edition Curt Visel, Memmingen,
27/1986, 28/1987, 31/1988, 40/1993, 42/1994, 45/1996, 52/1999, 55/2000, 59/2002
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