Gertrud Klingler, ihre Mutter Johanna, geb. Mörike
und ihre Großmutter Pauline Mörike.
Autor/in Ursula Kirchner
SAW 23
Vor Jahren betreute ich einen alten Schauspieler des Stuttgarter Staatstheaters, dessen Frau gestorben war. Ihre Urne war im Familiengrab einer anthroposophischen Freundin bestattet worden. Als die Freundin ihr Ende nahen fühlte, beunruhigte sie die fremde Urne in ihrem Grab. Ich veranlasste daher, dass die Urne umgebettet wurde, und zum Dank bekam ich ein Büchlein mit Scherenschnitten von Gertrud Klingler und zwei farbige Scherenschnitte, die mit Johanna Mörike signiert waren.
Gertrud Klingler hatte in ihrem Büchlein je einen Scherenschnitt ihrer Großmutter Pauline Mörike und ihrer Mutter Johanna Klingler geb. Mörike aufgenommen. Sie waren Verwandte Eduard Mörikes.
Ein Blatt aus sommerlichen Tagen
Ich nahm es so im Wandern mit
Auf dass es einst mir möge sagen
Wie laut die Nachtigall geschlagen,
Wie grün der Wald, den ich durchschritt.
Theodor Storm.
Scherenschnitt von Pauline Mörike 1873
Dieses Büchlein ist 1924 erschienen. Karl Sigrist hat dazu ein Vorwort geschrieben:
Gertrud Klingler
An einem Sommerabend betrat ich zum ersten Mal den Garten ihres Elternhauses. Eine Rosenwiese im Widerschein des Sommertages, umstellt von uralten Waldbäumen der Heimat und des Südens. Unter den Bäumen durch dämmriges Dunkel verschlungene Wege. Zwischen den Zweigen von draußen herein schimmern Kornfelder und im Gezweige hängt der schmale Reif des Silbermondes. Ein Zaubergarten. In fast allen ihren Scherenschnitten steht Gertrud Klingler im heimatlichen Garten und schaut durch seltsam und märchenhaft geformtes Gezweig ihrer Bäume die Welt ihrer Sehnsüchte.
Die Scherenschnitte ihrer Großmutter Mörike, welche in ihrer kindlich naiven, aber gefühlsstarken Art einem Mörike, der eine Generation vorher lebte, sicher viel Freude gemacht hätten, und die zarten innigen Bilder ihrer Mutter waren der Anlass, dass schon das Kind Gertrud sich in dieser Kunst fleißig übte; und heute zeigt uns die gereifte Künstlerin in zahlreichen Blättern von ihrer Hand ihre eigenwillig geschaute und erträumte Welt.
Karl Sigrist.
Und was weint ihr, Vater und Mutter, um mich?
In einem viel schöneren Garten bin ich,
Der ist so groß und weit und wunderbar,
Viele Blumen stehen dort von Golde klar,
Und schöne Kindlein mit Flügeln schwingen
Auf uns nieder sich drauf und singen.
Joseph von Eichendorf
Scherenschnitt von Johanna Klingler 1894
Viele Jahre danach bot mir die Base meiner Freundin einige Scherenschnitte zum Kauf an. Zu meiner Freude sah ich, dass es Scherenschnitte von Gertrud Klingler waren. Durch die Anthroposophie war die Base mit der Familie Klingler bekannt geworden und verbrachte schöne Tage im Zaubergarten der Klinglers in Ludwigsburg. Sie war besonders mit der jüngeren Schwester Gertrud Klinglers, Margarethe, befreundet. Margarethe lebte von 1899 bis 1977. So wissen wir auch ungefähr wann Gertrud Klingler gelebt haben muss. Sie starb ein paar Jahre vor ihrer Schwester.
Gertrud Klingler war Kinderkrankenschwester. Es verwundert nicht, dass die beiden Schwestern in ihrem schönen Elternhaus vor dem zweiten Weltkrieg ein Kinderheim einrichteten, in dem 10 bis 12 pflege- oder erholungsbedürftige Vorschulkinder betreut werden konnten. Während des Bombenkriegs fanden dort verängstigte Stadtkinder einen Unterschlupf.
Auch nach dem Krieg führten die beiden Schwestern ihre segensreiche Tätigkeit bis zum Tode Gertrud Klinglers fort. Dann wurde das Haus und der Zaubergarten verkauft.
Was kann man zu den wunderbaren zarten Scherenschnitten Gertrud Klinglers sagen? Sie künden von ihrer Liebe zum Leben, zur Schöpfung Gottes und zur Poesie; sie sind selber Poesie.
Romantischer Strauß
Ich darf nicht ringsumher mehr blicken:
Der Farben Glut, der Formen Zier,
Der Lüfte Wehn, der Blumen Nicken
Ist all’ für dich, kommt all’ von dir.
Clemens Brentano.
Pauline Mörike, Johanna Klingler, geb. Mörike
und Gertrud Klingler
Autor/in Gertrud Fiege
SAW 24
Angeregt durch den Beitrag von Ursula Kirchner in „Schwarz Auf Weiß“, Nr. 23, über Scherenschneiderinnen der Familie Mörike-Klingler möchte ich einige Stücke aus dem Bestand der Bildabteilung vorstellen, die sie diesen Frauen verdanken. Von Pauline Mörike gibt es einen dem bei Kirchner abgebildeten sehr ähnlichen Schnitt: Statt der vierbeinigen Tiere stehen hier seitlich eines Baumes hochbeinige Vögel mit langen Hälsen, die Köpfe von der Bildmitte weg gewandt. Beblätterte Zweige bilden eine spitzbogige Rahmung. Aber der Schnitt (8,9 x 8,0 cm) ist aus Goldpapier geschnitten und auf kräftig blauen Grund geklebt! Deshalb ist zu fragen, ob der Schwarzweiß-Abb. des Büchleins in Kirchners Besitz auch ein farbiger Schnitt als Vorlage diente. Identisch mit dem von Ursula Kirchner abgebildeten zweiten Schnitt ist ein schwarz-weißes Original (7,2 x 8,0 cm) von Johanna Klingler. Doch zeigt das Original, was keine Abbildung wieder geben kann: Von der schwarzen Seite des Papiers ist, ohne Beschädigung des Papiers, eine Binnenzeichnung eingetieft, die die Körperformen des Engels verdeutlicht und mit schrägen Kreuzschraffuren den Sockel strukturiert. Das Original wirkt folglich leichter und zierlicher als die Abbildung vermuten lässt.
Wahrscheinlich auch Pauline Mörike zuzuschreiben ist ein Faltschnitt, auch aus Goldpapier, der in der Mitte einen Altar mit Kreuz zeigt, zu dem von den seitlichen Stufen Priester aufblicken. Binnenkonturen sind teilweise von der Rückseite des Papiers gepunzt, desgleichen Rosetten, die die Sockelzone beleben. Trotzdem ist die Wirkung etwas grob, denn Innenschnitte, bewegte und filigrane Partien fehlen. Es scheint, dass erst die Tochter Johanna die professionellen Möglichkeiten des Schneidens versuchte, die die Enkelin Gertrud Klingler dann voll beherrschte.
Von ihr besitzt die Bildabteilung mehrere Schnitte.
Genannt seien:
– Darstellung einer Mutter mit Kind, auf einem Hügelchen im Freien sitzend, umgeben von phantasievoll und sehr fein geschnittenen Pflanzen. Das von Kirchner zitierte Büchlein enthält eine Abbildung dieses Schnitts. Das Original (8,3 x 12,0 cm) ist gerahmt und unter Glas, auf der Rückseite handschriftlich ein Mariengedicht. Der Schnitt ist signiert und datiert „22“. Figurengruppe und Umgebung könnten gesondert geschnitten und dann zusammen geklebt sein.
– Brustbild einer Madonna im Profil, eingepasst in neugotisch ornamentierten Spitzbogen, um den Zweige wachsen. Innerhalb des Spitzbogens ist der im Übrigen helle Grund blau aquarelliert. Der Schnitt ist schwarz. Auch hier könnten Figurengruppe und Umgebung gesondert geschnitten sein. (Größe der Darstellung: 4,9 x 4,1 cm).
– Ein Klebebild (8,9 x 7,0 cm) zeigt eine detailliert geschnittene Tanne aus schwarzem Papier, die auf mehrfarbig aquarellierten Grund geklebt ist und Baumschmuck sowie einen Stern auf der Tannenspitze aus Gold- und Silberpapier trägt. Aus rotem Papier geschnittene Kerzen verbreiten aquarellierten Lichtschein. Das Blatt ist betitelt „Greteles + Christtag“, auf der Rückseite ist es beschriftet: „Von Mutter und Gertrud. 1924.“ Grete wurde Gertrud Klinglers jüngere Schwester Margarete genannt.
Farbe spielte in dieser scherenschneidenden Familie eine hervorragende Rolle, und offenbar hegte besonders Johanna eine Vorliebe für farbige Produktionen. Von ihr sind eine ganze Reihe von Klebebildern aus verschieden farbigen Papieren vorhanden und auch ausgeschnittene Farbstiftmalereien. Sowohl als Einzelblätter kommen sie vor, wie eingeklebt in zwei Alben, dann oft kombiniert mit geschriebenen Gedichten oder Prosapassagen. Schwarzfigurige Schnitte hat Johanna gelegentlich mit getrockneten Blüten und Blättern collagiert.
In jedem der beiden Alben ist Mörikes Gedicht „Ein Tännlein grünet…“ von Johanna Klingler zitiert und illustriert mit Collagen aus verschieden farbigen Einzelteilen: Aus grünem Papier sind die Tannen und andere Pflanzen, der Erdboden ist mit braunem Farbstift gezeichnet, Tiere, die wohl die Pferde vorstellen sollen, sind im Faltschnitt aus Silberpapier hergestellt.
Erwähnt seien noch zehn Faltschnitte aus festerem Papier, gedacht zum Aufstellen, die mit Farbstiften gemalte Kinder und Tiere zeigen. Einige sind auf der Rückseite mit „Grete“ beschriftet. Wenn das eine Signatur ist und kein Eigentumsvermerk, kann man annehmen, dass auch die vierte der Frauen jener Familie zur Schere gegriffen hat. Diese Aufstellbildchen könnten mit dem Kinderheim in Zusammenhang stehen, das die Schwestern Gertrud und Margarete Klingler in Ludwigsburg geführt haben.
Fast der gesamte, in der Bildabteilung befindliche Bestand an Scherenschnitten der Familie Mörike-Klingler ist Margarete Klingler zu danken. Mit einer letztwilligen Verfügung vermachte sie das Konvolut dem Archiv und Museum. Das eine der beiden Alben enthält eine Widmung von ihr: „Für das Marbacher Schillermuseum / Abt. Eduard Mörike.“ 1979 wurde das Konvolut in die Sammlung aufgenommen.
Neueste Kommentare